
Was wichtig ist im Leben
vor einem Tag
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Wolfgang Bellmer konnte das Publikum bei seiner Lesung in der Holzmindener „Drehscheibe“ fesseln:
Wohl selten hat der ehemalige Klassenraum der Schule an der Sollingstraße eine so gespannte und lang andauernde Aufmerksamkeit erlebt: Bei der Lesung aus seinem biografischen Roman „Elises Sohn“ gelang es Wolfgang Bellmer, sein Publikum, eineinhalb Stunden lang zu fesseln. Der 85-jährige hat etwas zu erzählen. Besonders beeindruckend waren am Ende weniger die spektakulären Ereignisse aus seinem äußerst bewegten und bunten Leben, sondern die kleinen Momente, die sich erst im Rückblick als bedeutungsvoll erwiesen haben.
Doch zunächst mussten die Veranstalter in der Drehscheibe noch etliche Stühle in den Musikraum des Familien- und Kulturzentrums Drehscheibe tragen, um allen Zuhörerinnen und Zuhörern einen Platz zu bieten. Mittendrin war auch ein Kameramann vom RBB, der Filmaufnahmen für eine ausführliche Langzeitdokumentation über Wolfgang Bellmer anfertigt hat.
Für Wolfgang Bellmer war es eine Heimkehr, denn genau in diesem Raum wurde er vor mehr als 75 Jahren eingeschult – und auch mit Ergül Winnefeld, Koordinatorin der „Drehscheibe“, ist Bellmer lange Jahre verbunden, denn Ergül hatte in Bellmers Kanzlei, die zunächst in der Sollingstraße angesiedelt war, als kleines Mädchen aus der Nachbarschaft Bonbons „abgestaubt“.
Auf der Bühne war Wolfgang Bellmer eingerahmt von einigen seiner großformatigen Gemälde – sie zeugen von dem unbändigen Schaffensdrang des ehemaligen Rechtsanwalts und Notars, Bürgermeisters und Golfclubgründers sowie Autors von inzwischen zwölf Romanen, von denen sieben im Holzmindener Verlag Jörg Mitzkat erschienen sind.
Aus seinem prallvollen biografischen Roman „Elises Sohn“ hat sich Wolfgang Bellmer ein paar spektakuläre Momente herausgepickt: Die Wette mit Udo Jürgens, aus der heraus Bellmers erster Roman „Die durstige Insel“ entstanden ist, eine tragische Rallyefahrt durch Südosteuropa sowie die zufällige bedeutungsvolle Begegnung mit einer ehemaligen Holzmindenerin in Südfrankreich.
Berührend waren dann die von Schuldgefühlen geprägten Schilderungen Bellmers vom Totenbett seines Vaters, die Eingeständnisse von Fehlentscheidungen, die ihn unter anderem zu einer missglückten erneuten Bürgermeisterkandidatur in Holzminden führten, aber auch die Worte, die das pure Glück vermittelten, die ein Vater beim Herumtoben mit seinen beiden Kleinkindern empfindet.
Persönliche Erlebnisse so darzustellen, dass Sie eine gewisse Allgemeingültigkeit bekommen und Leserinnen und Leser emotional berühren, im Innersten etwas wecken, das sie selbst erlebt und empfunden haben – das ist Literatur und unterscheidet einen biografischen Roman von Lebenserinnerungen.
So war die Lesung von Wolfgang Bellmer ein Heimspiel im besten Sinne, denn es ging nicht um das Wecken sentimentaler Gefühle, kein „weißt Du noch …?“, eher ein „Ja, solche Fehler habe ich auch gemacht,“ oder „Ja, so habe ich damals auch empfunden.“

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